Schwäbisch für Besserwisser

Wenn's gau Zeit wird

Jetzt wird's aber gau Zeit! Welche Bewandtnis hat es eigentlich mit diesem merkwürdig genäselten gau, das in anderen Regionen Schwabens als geh gesprochen wird?

Normalerweise wird gau oder geh gebraucht "im Sinne des Bevorstehens, Sich-Anschickens", sagt Hermann Fischers Schwäbisches Wörterbuch, das als Übersetzungen anbietet "jetzt, allmählich, demnächst, nachgerade" und als Beispiel aufführt: "Er wird gau sterba." Doch es folgen noch weitere, weniger traurige Exempel: "Es kommt gau zom Regna" oder "I will gau gau".

Das letzte Beispiel läßt ahnen, woher dieses kurze Adverb kommt: vom Verbum gehen. Und wer sich ein wenig in Fremdsprachen auskennt, wird sofort Parallelen etwa zum Französischen "Je vais aller" oder zum spanischen "Yo vay a ir" erkennen, was beides wörtlich übersetzt "Ich geh' gehen" und sinngemäß übersetzt  "Ich werde gehen" bzw. "Ich geh' jetzt dann" oder eben "I will gau gau" heißt.

Dass gehen in seiner Grundform mit anderen Zeitwörtern verknüpft wird, ist uns durchaus vertraut von Kombinationen wie "essen gehen", "schlafen gehen", "spazieren gehen", "betteln gehen". Nur hat man schon vor Jahrhunderten die Reihenfolge umgedreht und anstat "Ich will essen gehen" gesagt "Ich will gehen essen".

Hier ist allerdings einzuwenden, dass, wenn ein Schwabe sagt "I gang ge essa" zwar das I gang von gehen kommt, nicht aber das ge. Das hat sich in diesem Fall aus gegen entwickelt, und zwar aus dessen Bedeutung "zu, nach" im Sinne einer zielgerichteten Bewegung.

Dieses ge entspricht somit dem etwas altertümlich klingenden gen: Ich gehe gen Stuttgart. Oder eben: I gang ge Sschtuegert. Wenn jemand ge Essa goht, dann geht er zum Essen. Und wenn er gau ge Essa goht, dann bricht er allmählich zum Essen auf.

Lassen wir das ge(gen) auf sich beruhen und kehren wir zurück zu gehen im Sinne einer Absichtserklärung. Dieses büßte allmählich seinen Charakter als Verb ein und verwandelte sich in ein Adverb, ein Umstandswort, das bei einem Verb steht, das etwa auch gehen lauten kann. Und so kam es zum "I will gau gau" oder "I will geh geh".

Solange dieses gau oder geh vor einem Verb steht, ist seine ursprüngliche Bedeutung des Gehens noch irgendwie zu spüren. Doch es hat sich weiterentwickelt zur schieren Partickel, die sich nicht mehr auf ein Verb beziehen muss, etwa wenn jemand feststellt: "Der Fernseher isch gau hee", was in etwa bedeutet : "Das Fernsehgerät wird demnächst den Geist aufgeben".

Eine ähnliche Entwicklung hat übrigens im Schwäbischen auch das Verb anfangen genommen, das zunächst vor einem anderen Zeitwort stand: Ich werd' anfangen (zu) arbeiten. Dann hat es sich verselbständigt: Es wir anfangen Nacht. Er wird anfangen frech.

Aber jetzt wird's gau anfange Zeit zum Aufhören.

Von Henning Petershagen

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