Schwäbisch für Besserwisser

Gell?!

Gell?! Dieser fragende Ausruf, der nicht immer eine Antwort, jedoch meist ein Signal der Zustimmung heischt, wäre mit Nicht wahr? nur unzureichend übersetzt.

Der Mensch, auch der schwäbische, sehnt sich nach Harmonie, nach Aufmerksamkeit, nach Zu- und Übereinstimmung. Der subjektive Grad dieses Grundbedürfnisses offenbart sich oft in der Häufigkeit mit der das Wörtchen gell verwendet wird. Manche Zeitgenossen und -genossinnen mengen es ihrem Redefluß in einer Frequenz bei, welche die Geduld der Gesprächspartner auf eine harte Probe stellt. In solchen Monologen, wo gell praktisch nach jedem Schnaufer auftaucht, ist es nicht nur eine lästige Angewohnheit, sondern mag auch der Kontrolle dienen, ob das Gegenüber überhaupt (noch) zuhört.

Doch hält die Mundart jenen, die sich darüber hinaus der ausdrücklichen Zustimmung zu ihren Ausführungen versichern wollen, eine impertinentere Form bereit, nämlich gelletse?, was frei übersetzt bedeutet: "Sie sind doch gewiss auch meiner Meinung!?" In Gegenden, wo  man die Leute statt mit Sie noch mit Ihr anredet, heißt es gellet?.

Gell bietet darüber hinaus weitere Anwendungsmöglichkeiten. So eignet es sich zum Drohen: "Gell, bass blooß fei auf!" Man kann auch seiner Schadenfreude Ausdruck verleihen: "Gell, des hasch jetz drvoo!" Und es ist unerlässlich für die schwäbische Art, seinen Triumph auszukosten: "Gell, do glotsch!" Schließlich kann man damit nicht nur sich selber, sondern auch den Anderen bestätigen: "Gell, des sag i au!"

Natürlich ist gell keine schwäbische Erfindung. Doch Schwäbisch ist eine der Mundarten, in denen gell seine volle Geltung bewahrt hat, während es in der Hochsprache, wie das Grimm'sche Wörterbuch feststellt, "für niedrig erklärt", für vulgär erachtet oder von volkstümelnden Schriftstellern missbraucht wurde.

Dei Bedeutungsvielfalt des Ausrufs gell oder gelt erklärt sich aus seiner Herkunft vom Verbum gelten, genauer gesagt von dessen Konjunktiv es gelte oder - noch genauer - von dessen Frageform gelte es?. Gell / gelt ist uralt. Grimm führt für gelt Belege aus dem 14. Jahrhundert an, geht aber davon aus, dass diese "Interjection zur Verstärkung einer Behauptung oder Frage" schon damals sehr alt gewesen sein muß.

Doch was soll denn bitte verstärkend daran sein, wenn man einer Behauptung oder Frage ein solches gelte es? vor- oder hintanstellt? Die Erklärung liegt in der heute noch gängigen Frage: "Gilt die Wette?" Tatsachlich ist ein Text aus dem 15. Jahrhundert erhalten, in dem es heißt "Nu gelt ainen pater noster, mein haus sei sterker denn das dein." Sinngemäß: "Wetten wir ein Vaterunser, dass mein Haus fester ist als deines?"

Diesem Wett-Angebot verdankt gell seine zunächst herausfordernde Bedeutung, die schließlich von der bekräftigenden, Zustimmung heischenden überlagert wurde. Klingt doch plausibel. Gell?!

Von Henning Petershagen

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