Schwäbisch für Besserwisser

I gib nix

Wenn der sprichwörtliche Bauer ein Nahrungsmittel vorgesetzt bekommt, das er nicht kennt, dann sagt er, sofern er ein Schwabe ist: "Des friss i net."

Was Deutsch lernende Ausländer zur Verzweiflung bringen kann, sind jene Verben, die in der 2. und 3. Person Einzahl der Gegenwart plötzlich den Stammvokal ändern wie etwa "ich nehme, du nimmst, er/sie/es nimmt". Die Schwaben sind konsequenter. Sie sagen: "i nimm, du nimmsch, er/sie/es nimmt".

Dementsprechend verkündet der schwäbische Mensch, wenn er zu Tisch geht: "I iss jetzt." Auf die Frage "Haste mal ne Mark?" teilt er mit: "I gib nix." Und wenn ein Kunde den Verkäufer auf eine preismindernde kleine Unregelmäßigkeit an der Ware aufmerksam macht, erwidert dieser: "I sieh nix."

In all diesen Fällen weicht das Schwäbische vom Hochdeutschen ab - genauer gesagt vom heute gebräuchlichen Hochdeutsch. Nehmen wir etwa das Gegensatzpaar geben und nehmen. Luther, der bekanntlich alles andere als ein Schwabe war, schrieb mitunter "ich gib", wobei er allerdings daneben auch "ich gebe" verwendete. Hans Sachs (1494-1576), der als Schuhmacher und Poet dazu in Nürnberg wirkte, reimte folgenden Rat: "Ich gib den E(he)leuten iren Sinn / ich spreche, es sei gar gering: / der Mann soll sich derhenken, / das Weib soll sich dertränken."

Auch im Falle von nehmen lautet die 1. Person Einzahl bei Luther wie bei seinen Zeitgenossen "ich nimm". Demnach müssten "ich gib" und "ich nimm" älter sein als "ich gebe" und "Ich nehme". Und so ist es auch. Im Mittelhochdeutschen wurde das Verb nehmen im Indikativ der Gegenwart konjugiert: "ich nime, du nimest, er/siu/ez nimet, wir nemen, ir nemet, sie nement". In den mittelhochdeutschen Dialekten jedoch hieß es schon bald "ich neme, du nemest" usw., und unter diesem Einfluss geriet das "ich nimm" allmählich zum "ich nehme".

Allerdings mag man sich fragen, warum im Mittelhochdeutschen der Stammvokal - etwa von "nehmen" - in der Einzahl -i- lautet und in der Mehrzahl -e-. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir in der Geschichte der deutschen Sprache einen weiteren Schritt zurückgehen ins Althochdeutsche, das im oberdeutschen Sprachraum von der Mitte des 8. Jahrhundert bis etwa 1100 gepflogen wurde.

Im Althochdeutschen hieß es noch "ih nimu, du nimist, er/siu/is nimit, wir nemem, ir nemet, sio nemen". Das heißt, der Vokal des Wortstammes nimmt deutlich Bezug auf den Vokal der Endung: wo hinten -i- und -u- stehen, geht vorn ein -i- voraus, wo die Endung ein -e- enthält, steht auch vorn ein -e-.

Im Übrigen erlauschen wir die Erinnerung an diesen alten Lautstand auch bei Vicky Leandros, wenn sie in ihrem Lied "Adler und Taube" singt: "Du brauchst zum Leben Siege / Ich gib viel eher mal nach."

Haben die Texter des Songs schwäbische Wurzeln? Oder können sie bloß nicht richtig deutsch?

Von Henning Petershagen

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