Schwäbisch für Besserwisser

Vom Hocken und Verhocken

Der Schwabe sitzt nicht: er hockt. Wenn er zu gut hockt, dann verhockt er bisweilen. Ist er allerdings zu lange am selben Fleck hocken geblieben, gilt er als verhockt.

Das Zeitwort hocken ist geeignet, Missstimmungen zwischen Schwaben und Nicht-Schwaben auszulösen. So wird ein Nicht-Schwabe die Aufforderung "Hock náá!" als eine rüde Zumutung empfinden, während sie ein Schwabe so auffasst wie sie gemeint ist: als freundliche Einladung. Denn hocken ist für Schwaben etwas Gemütliches, für Nicht-Schwaben etwas Ungemütliches.

Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm definiert hocken erstens "in gebückter Stellung, zusammengekrümmt weilen, Kauern von Menschen und Tieren" und zweitens "sitzen mit der Nebenvorstellung des Unbequemen". Im Schwäbischen dagegen ist hocken zunächst gleichbedeutend mit sitzen "ohne jede Nebenbedeutung", wie das Schwäbische Wörterbuch anmerkt. Es folgt der Hinweis "Öfters aber hat es die Nebenbedeutung des Faulen oder des allzu dauerhaften Sitzens oder ist überhaupt derberer Ausdruck".

Da der Schwabe per definitionem nicht faul, sondern schaffig ist, muss es das Dauerhafte sein, was dem Verb hocken im Schwäbischen jenen wohligen Beigeschmack verleiht und die Einladung "Hock náá!" zur Bitte werden lässt, nicht gleich wieder aufzustehen. Der Ausdruck der Dauerhaftigkeit kann verstärkt werden durch die Vorsilbe ver-: Wer ohne Rücksicht auf die Sperrstunde im Wirtshaus oder Biergarten ausharrt, wird am folgenden Tag einräumen: "Geschtern bin e verhockt."

Eine völlig andere Qualität nimmt verhockt an, wenn es als Eigenschaftswort verwendet wird: "Der isch total verhockt" deutet auf einen gravierenden Mangel an Flexibilität. Früher mochte ein Mangel an Mobilität diese geistige Vereinödung nach sich gezogen haben. Das muss heute so nicht mehr gelten. Schließlich schützt auch der Jahresurlaub auf Mallorca nicht vor der Gefahr des Verhocktseins.

Warum hockt der Schwabe lieber als er sitzt? Die Ursprungsbedeutung von hocken ist "sich krümmen". Das tut man beim Sitzen vor allem dann, wenn die Sitzgelegenheit keine Rückenlehne hat. Das ist etwa bei einem Hocker der Fall, der infolge dieser Minderausstattung weniger kostet als ein Stuhl. Doch wäre es sicher eine böswillige Unterstellung, die Vorliebe der Schwaben für das Hocken mit Sparsamkeit oder Geiz zu begründen. Wenden wir es positiv: Wer hockt, hat Rückgrat, was bei jemandem, der sich bequem zurücklehnt, nicht notwendig vorauszusetzen ist.

Schließlich sei der gruppendynamische Aspekt nicht vergessen: Beim gemeinsamen Hocken auf den sogenannten Hocketen (fälschlich auch Hocketsen genannt), kommt man sich dank der nach vorn gekrümmten Haltung über die Biertische hinweg näher, was mitunter dazu führt, dass man verhockt und dass der Schwabe am Ende einen hocken hat.

 von Henning Petershagen

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