Schwäbisch für Besserwisser

Verschlagen und verschießen

Ist ein Schwabe verschossen, dann ist er tot. Ist ein Nichtschwabe verschossen, dann ist er verliebt. Das ist ein großer Unterschied.

Nicht selten reden Schwaben und Nichtschwaben weiträumig aneinander vorbei. Klagt ein Schwabe, ihm sei die Frau vertlaufen, will er damit nicht ausdrücken, dass sie dahingeschmolzen sei, sondern dass sie das Weite gesucht hat.

Während sich die kostenbewusste Schwäbin nur ungern verzählt, verzählt sie umso lieber ihrer Freundin stundenlang, wer ihr gestern alles verkommen ist. Selbstverständlich kommen unter diesen ihr Verkommenen keine verkommenen Subjekte vor.

Wenn ein schwäbischer Einbrecher seine Spuren verwischt, tut er das, damit er selber nicht verwischt wird. Und wenn er Glück hat, kann er vertwischen bevor die Alarmanlage losgeht. Woraus erhellt, dass verwischen und vertwischen zwei bis drei Paar Stiefel sind - so wie verlaufen sich grundsätzlich von vertlaufen unterscheidet. Verlaufen tut die Butter, wenn man sie in die Sonne oder die Mikrowelle stellt. Vertlaufen tun treulose Ehepartner oder, wie man aus dem Lied von der Schwäbischen Eisenbahn weiß, der Geißbock, wenn man ihn nicht mit einem Seil an den hinteren Wagenteil nââbindet.

Übersetzen wir all diese schwäbischen Komposita auf ver- ins Schriftdeutsche, ergibt sich folgendes Bild: verschießen = erschießen, verzählen = erzählen, verwischen = erwischen, vertwischen = entwischen, verlaufen = zerlaufen, vertlaufen = entlaufen. Verschlagen mit "erschlagen" gleichzusetzen, wäre etwas zu rabiat, und verkommen muss man frei wiedergeben mit "begegnen".

In den aufgeführten Beispielen setzt der Schwabe das ver- anstelle der Vorsilben er-, zer- und ent-. Ein Blick in Fischers Schwäbisches Wörterbuch lehrt, dass er- sich nur in schriftsprachlichen Wörtern findet und im Schwäbischen ganz fehlt. Die Bayern und Franken ersetzen es durch der-: sie verschießen niemanden, sondern sie derschießen.

Auch ent- entfällt in der Mundart ganz. Sie ersetzt es zum einen durch ver-, dann aber auch durch vert-, das ausschließlich für ent- steht und dessen -t- bewahrt hat.

Interessant ist die Entwicklung des zer-, das laut Fischer "im größten Teil unseres Gebiets wohl überhaupt nie eigentlich mundartlich gewesen" ist. Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm stellt fest, dass viele Zusammensetzungen mit zer- entweder ersatzlos verschwinden oder aber ersetzt werden durch ent-, er-, ver- und andere Partikeln. Gerade "die Sprache des Volkes" sei Urheberin dieses Rückgangs, der im Oberdeutschen in der "Lautschwäche" des zer- begründet sei. Das zer- wird auch in der Schriftsprache zurückgedrängt. Was früher zergehen, zerbeulen und zerbiegen hieß, lautet heute vergehen, verbeulen, verbiegen.

Wir dürfen also feststellen, dass die Schwaben der Zeit mal wieder voraus sind. Bleibt abzuwarten, ob eines Tages auch ein verschossener Nicht-Schwabe tot sein wird.

Von Henning Petershagen

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