Schwäbisch für Besserwisser

Der Schwabe mag kein Schwäble

Einem hässlichen Klischee zufolge endet im Schwäbischen jedes Hauptwort auf -le. Das aber gilt allenfalls für die Speisekarten schwabentümelnder Gastronomen.

Schweinelendle mit Maultäschle, Pfannenbrätle im Rahmsößle - solche pseudoschwäbisch formulierten Speisefolgen können bei echten Schwaben Brechreiz hervorrufen. Denn die bevorzugen den Braten und die die Soße wie auch die Maultaschen ohne süßlichen Beigeschmack - und im Übrigen nicht en miniature, sondern möglichst so groß, dass man noch etwas einpacken kann, für den Hund natürlich.

Speisekarten, in denen an jedem Gericht ein -le pappt, richten sich eher an ein auswärtiges Publikum, das dem Irrglauben anhängt, dieser Appendix gehöre zur Grundausstattung eines jeden schwäbischen Hauptwortes. Tatsächlich verwendet der gemeine Schwabe das -le nicht häufiger als der Hochsprachler das -chen. Der Mundartforscher Arno Ruoff hat festgestellt, dass man das -le in weiten Teilen des Landes als lächerlich empfindet und es Regionen gibt, in denen überhaupt keine Verkleinerungsform gebraucht wird. Frage man dort die Leute, wie sie zu einem Häusle sagen, bekomme man stets die Auskunft "a klois Haus".

Das heißt: Der normale Schwabe verwendet das -le in aller Regel dort, wo es angebracht ist. Zum Beispiel bei den Spätzle, die wenn sie gut sein sollen, klein sein müssen.

Wenn die Schwaben verkleinern, begnügen sie sich mit dem -le, das dem hochdeutschen -lein entspricht. Die Verkleinerungsform -chen und ihre mundartlichen Varianten verschmähen sie - im Gegensatz etwa zu den Pfälzern, bei denen das Mädle (Mägdlein) ein Medsche (Mädchen) ist.

Die Geschichte der "Diminutiv-Suffixe" -chen und -lein geht weit zurück. Eine Vorform von -chen enthält etwa Gibika. Das ist die Verkleinerungsform des gotischen Namens Gibich. Und ein uraltes -le finden wir in der gotischen Verkleinerungsform -ila. Hängt man sie an das Wort "atta" (Vater), steht plötzlich Attila vor uns, den man mit "Vatterle" übersetzen könnte, wenn es nicht so dämlich klänge.

Bemerkenswert ist, dass das -n am Ende von -chen und lein erst später hinzugelangt ist. Im schwäbischen -le fehlt es fast immer, und so erhebt sich die Frage, ob die Schwaben dieses Schluss-n verschluckt oder erst gar nicht angenommen haben. Jenes fehlende -n korrespondiert mit einem anderen Phänomen, das damit zusammenhängen könnte. Im Schwäbischen lauten nämlich die Ein- und die Mehrzahl der Verkleinerungsform unterschiedlich: ein Spätzle, aber zwei Spätzla. Beim hochsprachlichen -lein ist das nicht der Fall, wie der Blick auf ein Fräulein und zwei Fräulein beweist.

Fazit: Die Schwaben verwenden das -le keineswegs diffus, sondern sehr differenziert. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen. Und denen empfiehlt man am besten ein Besüchle beim Psychiäterle.

Von Henning Petershagen

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